False Balance – ein Problem in der journalistischen Berichterstattung

Februar 2022 | Christina Jacob
zuletzt aktualisiert am 19. Juni 2024

Das Phänomen ist nicht neu, die Debatten rund um Corona haben es nur deutlich gemacht: False Balance, auf deutsch „falsche Ausgewogenheit“. Es bezeichnet nicht etwa ein Ungleichgewicht zwischen zwei unterschiedlichen Positionen – im Gegenteil.

Mit False Balance ist die gleichwertige Gegenüberstellung zweier unterschiedlich zu bewertenden Positionen gemeint.

Zur Zeit fast täglich im Fernsehen zu beobachten: Talkrunden, in denen Wissenschaftler:innen, Journalist:innen und Politiker:innen an einem Tisch sitzen und über hochaktuelle Themen debattieren, damit möglichst viele Positionen zu einer Sache zur Sprache kommen. Es gehört zum Anspruch des Journalismus, immer beide Seiten einer Medaille zu beleuchten, das Für und das Wider zu einem bestimmten Thema darzustellen, damit sich die Leser:innen und Zuschauer:innen daraufhin ihre eigene Meinung bilden können. Wenn sich aber zwei ungleiche Partner in der Diskussion gegenüberstehen, entsteht aus der vermeintlichen Ausgewogenheit ein verzerrtes Bild, weil sie von verschiedenen Medaillen sprechen.

Bestes Beispiel ist der Klimawandel: Diskutieren in der Debatte um den Zusammenhang zwischen CO2-Austoss und Klimaerwärmung ein Wissenschaftler, hinter dessen Meinung ca. 97 % seiner wissenschaftlichen Kollegen mit belegbaren Studien stehen, und ein Klimaleugner, dann bekommt die Minderheitenmeinung fälschlicherweise mehr Gewicht. Es könnte der Eindruck entstehen, dass beide Standpunkte gleich zu bewerten sind, dass das Verhältnis zwischen Pro und Contra 50:50 ist, statt 97:3.

Das Problem: In den Medien werden Randmeinungen oft einem wissenschaftlichen Konsens gegenübergestellt. Sollen aber ungleiche Partner ein Für und Wider diskutieren, ist die Debatte nur vermeintlich ausgeglichen. Das Prinzip der ausgewogenen politischen Konsensbildung auf die Wissenschaft zu übertragen, funktioniert nicht ganz. In der Politik zählt in erster Linie das Ergebnis, auf das sich verschiedene Parteien oft aus ganz unterschiedlichen Beweggründen einigen können. Es geht meist um Meinungen und Abwägungen, die zu einer Entscheidung führen. Die Wissenschaft dagegen bietet Fakten, zu denen sie durch nach festgelegten Prinzipien erfolgte Forschungsprozesse kommt. Sie sind nicht diskutierbar. Allerdings auch keine auf ewig geltenden Wahrheiten – neue Erkenntnisse führen zu neuen Fakten. Sonst würden wir immer noch auf einer Scheibe leben.

False Balance vermeiden

Für eine ehrliche Debatte sollte man beide Lager deutlich voneinander unterscheiden, bzw. entsprechend gewichten. Die Erkenntnisse der Wissenschaft haben zwar Einfluss auf politische Entscheidungen – sind aber für die daraus folgende wertorientierte, soziale und ethische Diskussion nicht zwingend zuständig. Beispiel Corona Impfung. Es gilt als erwiesen, dass die Impfung das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs abmildert. Welche gesellschaftlichen und ethischen Entscheidungen letztendlich getroffen werden, ist Sache der Politik. Und für deren Konsensfindung wiederum ist es nicht relevant, wie die Wirkungsweise der Impfung auf biochemischer Ebene im Detail funktioniert.
Dieser Unterschied sollte im Kontext einer Gegenüberstellung deutlich gemacht werden.

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